(5+6) Liepaia, Ventspils und ein Sturm der sich gewaschen hat

von emaloca am 01.08.2021 / in Ostseetörns
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Nun sind wir in Lettland, haben uns in Liepaia, Pavilosta und Ventspils umgesehen, einen heftigen Sturm im Hafen abgewettert und werden unsere weiteren Reisepläne wieder einmal dem Wind anpassen müssen.

„Liepaia lächelt zu. Lächle ihr entgegen“

So heißt es in einer Broschüre. Das fällt uns gar nicht schwer. Was für ein Szenenwechsel aus der beschaulichen Schärenwelt hinein in eine quirlige, lebendige Stadt mit rd. 76500 Einwohnern und vielen jungen Leuten. Es ist ihr anzumerken, dass es hier Hochschulen gibt und jede Menge Kreativität.

Liepaia hat seine Reize

Das pralle Leben

Im Hafenviertel sind seit unserem ersten Besuch 2018 viele Cafés, Bars und Restaurants hinzugekommen, individuell, bunt und einfallsreich. Liepaia behauptet wahrscheinlich zu Recht von sich, die lettische Hauptstadt der Kreativität zu sein.

Am Wochenende feiern hier die Menschen das Leben (und manche wohl auch nur den Alkohol).

Der neue Yachthafen, den wir damals nur auf Plänen gesehen haben, ist seit diesem Frühjahr fertig, viele Fahrradwege sind angelegt und werden gebaut, die Stadt entwickelt sich langsam aber stetig weiter. Der lange, fantastische Sandstrand wird sicherlich auch viele Sommerurlauber anziehen.

Im Hafen liegen zwei Schiffe der Marine. Damit wird das nur 2 Mio. Einwohner große Lettland sich nicht verteidigen können. „Die Russen haben hier nur den Schrott und den Müll dagelassen!“ hören wir.

 Über das Spannungsfeld zwischen dem russischen und lettischem Bevölkerungsanteil erfahren wir dieses Mal nichts. Nur noch: „Um in Liepaia einen guten, höher qualifizierten Job zu bekommen, muss man russisch können. Ich will aber Englisch lernen!“ Inwieweit das stimmt, können wir nicht beurteilen. Im Blog von 2018 habe ich mehr über Liepaia, die sowietische Vergangenheit und das Wüten der Nazis geschrieben. Leider war das Besatzungsmuseum in Liepaia wegen Umbaumaßnahmen geschlossen.

Musik spielt in Liepaia eine große Rolle, einige bekannte lettische Bands und Musiker kommen von hier. In der architektonisch eindrucksvollen Konzerthalle „Der große Bernstein“ treten hervorragende klassische Musiker auf.

Balkonkonzert

Wir kamen in den Genuss eines kostenlosen Balkonkonzertes. Die Leute standen vor dem Balkon, saßen auf dem Rasen oder dem Kantstein, Kinder radelten und turnten auf der gesperrten Straße – zwanglose Wohlfühlstimmung ohne Eintritt!

Die andere Seite von Liepaia

Das findet alles auf der Seite des Yachthafens statt. Radelt man über die Kanalbrücke nach Norden, dort wo noch alte Industrieanlagen stehen, tut sich ein anderes Bild auf. Hier glänzt nichts, renovierungsbedürftige Häuser, die Straßen teilweise noch nicht einmal befestigt. Man sieht den Menschen, die dort leben an, dass sie nicht zum aufstrebenden Teil der Bevölkerung gehören.

Pavilosta, nicht so unser Ding

Nach 4 Tagen nehmen wir Abschied und segeln los. Wir haben unsere Pläne den Windverhältnissen angepasst und wollen weiter Richtung Riga. Erste Station ist Pavilosta. Unter Seglern wird der Hafen als absolut lohnenswert gehandelt. Wer eine kuschelige Hafenatmosphäre mit etwas Partystimmung mag und begeistert ist, dass der Hafenmeister perfekt Deutsch spricht, ist hier richtig.

Auf uns ist die Begeisterung nicht so richtig übergesprungen. Wir kamen bei Windstille an und im Hafen stank es erbärmlich. Am Strand wussten wir warum. Unmengen an Tang verrottete dort vor sich hin. Wir mussten ein langes Stück gehen, um überhaupt ins Wasser zu kommen. Die Leute badeten mit Schuhen, der lange Weg ins etwas tiefere Wasser war mit Steinen übersäht.

Trotzdem scheint Pavilosta so richtig auf dem Sprung zu einem beliebten Badeort zu sein. In dem nur rd. 900 Einwohner großem Dorf wird kräftig gebaut, auf der Terrasse eines Hotels sollte der Aperol Spritz 8 Euro kosten (im Yachthafen immerhin ‚nur‘ 7 Euro).

Auf nach Ventspils

Ein heftiger Sturm kündigte sich an. Wir mussten uns entscheiden: Abwettern in Pavilosta oder schnell noch nach Ventspils weitersegeln. Weiter! Viel Welle und wenig Wind von hinten bedeuteten jedoch erst eine elende Schaukelei und anstrengendes Steuern, bis der Wind sich nach zwei Stunden erbarmte und endlich der Windvorhersage entsprach.

Da sind wir noch entspannt

Voll war der Hafen nicht, neben uns waren nur noch zwei weitere, wesentlich größere Segelboote im Hafen bewohnt. Vier andere Boote schienen Dauerlieger zu sein.

Der Yachthafen hat zwar einen neuen Steg bekommen, aber ansonsten hat sich dort nicht viel geändert -‘Postsozialistischer Charme‘ ist eine freundliche Umschreibung auch für die unmittelbare Umgebung. Schade, es wäre so viel Potenzial da. Wie in Liepaia gibt es in Ventspils einen herrlich langen Sandstrand, der hier nur 5 Fußminuten vom Yachthafen entfernt liegt.

Die Ruhe vor dem Sturm

Herbststurm im Sommer

Und am nächsten Tag legte der Wind los. Morgens konnten wir noch kurz zum Strand und auf die Mole gehen, um die Kraft des Windes und des Meeres zu bewundern. Dann trieben uns Regen und immer stärkere Böen schnell zurück zum Boot.

Sandsturm auf der Mole – bevor der Wind so richtig zulegte

Der Hafen liegt zwar geschützt, aber es kam eine hohe Dünung hereingelaufen, die vom Hafenbecken abprallte und das Becken ins Tanzen brachte. Die Folge: die Boote fuhren vor und zurück, tanzten von Backbord nach Steuerbord, ruckten heftig in die Leinen.

Der Anker eines anderen Bootes hat mit Hilfe des Windes ganze Arbeit geleistet

 Heftiger Hafenpogo, für uns eine neue Erfahrung

Wir haben uns eineinhalb Tag nicht von Emaloca entfernt. Die Vorleinen noch durch Ruckdämpfer verstärkt, achtern uns an zwei, anstatt nur an einer Mooringboje festgemacht und gewartet, bis der Sturm aufhört.

So etwas haben wir noch nicht erlebt. Windstärke 6 steigerte sich auf 7, dann 8 und ging in einer Spitze sogar mal auf 41 Knoten (Windstärke 9). Holla die Waldfee! Zum Glück kam der Wind fast von vorn, sodass Emaloca von den Böen nicht in voller Breitseite erwischt wurde.

Kulinarisch waren wir gut versorgt durch das hervorragende frische Obst und Gemüse, das es in Lettland auf den Märkten zu kaufen gibt. Ein Genuss, besonders, wenn man in vorseglerischen Zeiten selbst mal einen Gemüsegarten hatte. Den Propolishonig, den uns ein Händler anpries mit: „Der wirkt besser als Astra Zeneca“ verschmähten wir und kauften stattdessen Honig pur.

Ventspils – weitläufig verschlafen

So lebhaft Liepaia wirkt, so ruhig und gemächlich wirkt das nur halb so große Ventspils. Durch die Stadt ergießt sich ein aufwendiges Blumenmeer, andere Markenzeichen sind verschiedene Brunnen, immer noch die Kuhparade und der große Park mit den riesigen, alten Ankern. Neue Fahrradwege sind angelegt.

Doch auch hier, wie in Liepaia, gibt es 2 Welten: das Neue, der Aufbruch und das Alte, Verfallene.


Es scheint eher ein Ort für Familien(urlaube) zu sein. Viel wird für Kinder geboten, sogar ein ganzer Kinderpark (kein Spielplatz!) mit Spielgeräten. Auch in anderen Anlagen finden sich fantasievolle Spiel- und Klettergeräte.

Nebensächlich, aber total auffällig ist, dass die ganze Stadt total gepflastert ist, Betonpflaster in allen Formen und Farben. Wir erfuhren, dass der Bürgermeister der Stadt ein passendes Bauunternehmen dafür hatte – nun sei er aber im Gefängnis.

Die lange Uferpromenade ist fertiggestellt, aber man fragt sich wer da warum promenieren soll. Als wir samstags Abend um 9 Uhr durch die Stadt radeln, sind die Bürgersteige hochgeklappt, nur an einem Grillpub ist was los. Kein Wunder, dass der junge Hafenmeister aus Ventspils feuchte Augen bekommt, als er erfährt, dass wir in Liepaia waren. „Ah, die Stadt der Rockmusik, da ist wenigstens was los!“

Als wir da waren, die Ausnahme: 10 Minuten Lasershow, die dafür 2 Stunden wiederholt wurde

Ventspils siehe auch Blog von 2018

Vom Winde verweht

In Liepaia haben wir uns von dem Plan nach Klaipeda zur kurischen Nehrung zu segeln verabschiedet. Wind gibt es die nächsten Tage zu viel oder zu wenig, aber dafür mit viel hoher, alter Welle. Noch länger in Ventspils bleiben wollen wir nicht. Wir disponieren kurz entschlossen um, lassen Emaloca ein paar Tage allein im Hafen und fahren mit dem Bus nach Riga.

Wir fahren mit dem Bus, Stena Line fährt woanders hin

5 Kommentare

  • Ruth Schwarz says:

    Hallo Anke und Gerd
    Das hört sich ziemlich spannend und ereignisreich aber wenig erholsam an. Genau die richtige Mischung?
    Ich wünsche Euch weitere Abenteuer die immer so gut enden.
    Liebe Grüße Ruth

  • Anke Schekahn says:

    Liebe Ruth,
    Wir handeln auch ziemlich rum. Okay, nicht gerade in Riga . Heute aber wieder Erholung in den Dünnen…..
    Ihr solltet auch mal nach Lettland fahren, es lohnt sich.
    Herzliche Grüsse Anke und Gerd

  • Reiner Eberle says:

    Hallo ihr beiden, gerade bin ich mal wieder auf euren Blog gestoßen. Ich lese immer wieder gerne eure Geschichten und wünsche euch noch viele schöne Eindrücke und gut überstandene Abenteuer. Liebe Grüße, Reiner

    • Anke Schekahn says:

      Moin Rainer, danke für die Wünsche. Sind gestern wieder von Lettland nach Gotland. Schneller aber anstrengender Ritt. Hoffentlich seid ihr auch ‚mobil‘ durch den Coronasommer gekommen
      Anke und Gerd

  • Hans und Ruth Schwarz says:

    Hallo, liebe Freunde von Wind und Wellen.
    Erst heute habe ich von euren Abenteuern gelesen. Richtig schön, was für eine Reise in eine uns unbekannte Welt-Sylt liegt hinter uns, zwei Tage mehrstündiges Rasenmähen, Kartoffelernten im Garten, Beetpflege, Wäsche waschen und Boulespielen am Nachmittag sind unsere Beschäftigungen.
    Liebe Grüße
    Hans

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